Cristeta, warum sind freilebende, verwilderte Katzen eigentlich so ein großes Problem? Man könnte doch meinen, dass sie die Freiheit genießen und einfach selbst jagen, wenn Sie Hunger haben?
Dr. Cristeta Brause: Genau so ist es leider nicht. Entgegen dieser geschilderten Auffassung können sich freilebende Katzen nicht selbst versorgen und führen eben kein glückliches Leben in Freiheit. Denn bei diesen Katzen handelt es sich um Hauskatzen, die ursprünglich in menschlicher Obhut gelebt haben und nun draußen leben müssen, weil sie ausgesetzt oder zurückgelassen worden sind. Manche sind auch entlaufen und haben nicht nach Hause zurückgefunden, wieder andere sind bereits auf der Straße zur Welt gekommen. Da Katzen jedoch schon seit Jahrtausenden domestiziert sind und sich an das Leben mit dem Menschen angepasst haben, kommen sie alleine draußen nicht zurecht und können sich auch nicht ausreichend alleine ernähren. Sie leiden unter Kälte, Unterernährung, schwer bis tödlich verlaufenden Infektionskrankheiten sowie an Auszehrung – unter anderem durch viele Trächtigkeiten. Oft tragen sie zudem bei Unfällen oder Revierkämpfen Verletzungen davon, die in der Regel ja auch unversorgt bleiben und zu Komplikationen wie Wundinfektionen und dergleichen führen. Bei Streunerkatzen ist folglich die Sterberate auch extrem hoch.
Und trotzdem pflanzen sich die Tiere weiter fort?
Ja, das ist das Drama dabei. Obwohl sie massiv mit Schmerzen und Leiden zu kämpfen haben, vermehren sich die Tiere unkontrolliert. Mit etwa sechs Monaten sind Katzen bereits geschlechtsreif, können gedeckt werden und zwei- oder gar dreimal im Jahr drei bis fünf Kitten zur Welt bringen. Davon ausgehend, dass durchschnittlich drei Kätzchen überleben, kann man nach etwa vier Jahren rein rechnerisch von um die 2.000 Nachkommen bei einer Katze ausgehen. Mittlerweile ist auch unstrittig, dass die unkontrollierte Vermehrung der Tiere Hauptursache für das Elend der Katzen ist und gleichzeitig dazu beiträgt, dass sich die Situation ständig verschlimmert. Diesen Kreislauf gilt es zu durchbrechen.
Und wie?
Das A und O ist die Kastration der Tiere. Es ist das allerwichtigste, dass sich die Katzen nicht mehr vermehren können. Darüber hinaus sollten auch noch medizinische Versorgung, Futter und trockene Schlafplätze angeboten werden.
Kann man dann nicht einfach alle Tiere einfangen, medizinisch versorgen und ins Tierheim bringen, damit dort ein neues Zuhause für sie gesucht wird?
Nein, das geht nicht. Zum einen ist es schwierig, alle Tiere einfach zu fangen, und zum anderen sind die meisten von ihnen auch extrem scheu. Eine Verbringung ins Tierheim wäre mit unvertretbarem Stress für die Katzen verbunden. Sie können folglich auch nur in den seltensten Fällen in eine Familie vermittelt werden. Deswegen hat es sich bewährt, die Katzen einzufangen, zu kastrieren, medizinisch zu versorgen, anschließend wieder vor Ort freizulassen, und die wilden Katzenpopulationen, die sich nun nicht mehr durch ständige Fortpflanzung vergrößern, langfristig zu betreuen.
Damit ist es dann getan, oder kann auch der einzelne Tierfreund etwas beitragen?
Nur die Streuner zu kastrieren und zu versorgen, reicht nicht, um das Problem zu lösen. Auch die Halter von Hauskatzen mit Freigang haben eine Mitverantwortung. Sie sollten ihre Tiere unfruchtbar machen lassen, bevor diese draußen frei laufen dürfen. Denn Freigängerkatzen können sich ebenfalls mit den Streunerkatzen fortpflanzen und dann gibt es wieder Nachwuchs.
Und wenn dann keine weitere Vermehrung mehr stattfindet, gibt es langfristig weniger Katzen, die auf sich allein gestellt sind und entsprechend weniger Leid. Das klingt logisch, aber funktioniert das auch?
Ja, die Kastration hat auf jeden Fall positive Auswirkungen auf die Situation der Streunerkatzen. Viele Tierschützer kastrieren deshalb seit etlichen Jahren freilebende Katzen. Das ist sehr aufwendig und kostenintensiv. Seit Jahrzehnten ist uns das Elend der Katzen bekannt, doch wir müssen das Problem nicht nur erkennen, sondern auch angehen, indem wir uns alle auch für die leidenden Katzen verantwortlich fühlen und wirklich nachhaltige Lösungen zu deren Schutz auf den Weg bringen.
Das heißt? Wer muss hier tätig werden?
Vor allem auch die Politik. Sowohl das kommunale Ordnungsrecht als auch das Tierschutzrecht ermöglichen den Städten und Gemeinden in vielen Bundesländern bereits, sogenannte Katzenschutzverordnungen zu erlassen, wenn dort in bestimmten Gebieten vermehrt Streunerkatzen festgestellt wurden. In den Verordnungen ist dann vorgegeben, dass Hauskatzen mit Freigang kastriert sein müssen. Weiterhin fordern die meisten Verordnungen, dass die Katzen mit einem Transponder oder einer Tätowierung gekennzeichnet und in einem Haustierregister, beispielsweise bei TASSO, registriert werden. So kann nicht nur beim Vollzug der Verordnung der Halter ausfindig gemacht, sondern auch Fundtiere schnell wieder mit ihrer Familie vereint werden, statt unter Umständen auch noch endgültig auf der Straße zu landen und zu verwildern.
Diese Verordnungen zu erreichen ist also ein Ziel von TASSO?
Ja genau, wir setzen uns für den bundesweiten Erlass von Verordnungen mit Kastrations-, Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Katzen ein. Viele Städte und Gemeinden haben in den vergangenen Jahren zum Glück schon entsprechende Regelungen erlassen. Wir bei TASSO engagieren uns mit unserer Arbeit dafür, dass es noch mehr werden, denn nur so kann den Tieren langfristig geholfen werden.
Vielen Dank für deine Zeit und die vielen Erklärungen, Cristeta!