Der kleine rote getigerte Kater duckt sich vorsichtig ins Gras und beobachtet genau. Wenige Minuten vorher hat er sich ein erstes Mal blicken lassen, kaum dass das bekannte schwarze Auto geparkt hatte. Nun kommt er immer näher heran. Ihm ist anzusehen, dass er zwischen Misstrauen, Neugierde und Hunger schwankt. Was überwiegt? „Der Hunger, ganz klar“, sagt Martina Schmidt überzeugt. Die Vorsitzende des Vereins Katzenhilfe Katzenherzen e.V. muss es wissen, denn sie ist täglich hier. Hier, das ist eine kniehoch stehende unbebaute Wiese mitten in einem ruhigen Wohngebiet in der hessischen Stadt Hochheim. Die Hose in den Socken zum Schutz vor Zecken, in einer Hand eine Lebendfalle, in der anderen eine schwere Tasche mit Futter, geht Schmidt zum Einsatz.
Seit mehreren Tagen versorgen die Katzenschützerinnen des Vereins eine neue Gruppe sogenannter Streunerkatzen, die wild leben und sich nahezu ohne Zuwendung von Menschen durchschlagen. „Das gelingt ihnen aber mehr schlecht als recht, weshalb wir uns um sie kümmern müssen“, stellt Schmidt klar. Dass der Verein handeln kann, wurde durch eine sogenannte Katzenschutzverordnung möglich, die die Tierschützerinnen in Hochheim lange herbei gesehnt haben. „Endlich haben wir eine Grundlage, auf der wir die Katzen betreuen können“, freut sich Schmidt. Sie und ihre Kolleginnen vom Verein füttern die Katzen nun zunächst einmal an und verschaffen sich einen Überblick über Menge und Zustand der Tiere. Dazu ist die Futterstelle kameraüberwacht.
Dass Schmidt heute die Lebendfalle aufstellt, ist der nächste Schritt. Das Futter stellt sie jedoch nicht hinein und sie macht die Falle auch noch nicht „scharf“. „So schnell geht das nicht mit Katzen. Ich werde jetzt erstmal jeden Tag das Futter ein wenig näher an die Falle heranrücken, bis es eines Tages drinnen steht und die Katzen dort fressen.“ Erst dann können die Tierschützerinnen gezielt die Katzen einfangen. Dazu müssen sie aber vor Ort bleiben, um sofort eingreifen zu können und die Tiere aus der Fall zu holen. Vermutlich wird das die eine oder andere Nachtschicht für die Katzenfreundinnen bedeuten. Die Tiere sollen nicht lange in der Falle ausharren müssen und vor allem sollen die anderen Katzen nicht sehen, dass sie in der Falle gefangen werden könnten. Denn dann würden sie nicht mehr hineingehen. Nach und nach werden in den kommenden Wochen die Katzen dieser Gruppe eingefangen, medizinisch untersucht, kastriert, gekennzeichnet, registriert und wieder freigelassen. Anschließend werden die Tierschützerinnen sie weiter versorgen. „Das alles bedeutet einen enormen zeitlichen, personellen und organisatorischen Aufwand für jede einzelne Katze“, sagt Schmidt. Es sei anstrengend, aber notwendig, um das Leid dieser Tiere zu reduzieren: „Es ist der einzige Weg, das sprunghafte Ansteigen wilder Katzenpopulationen zu verhindern.“
Kastration = Katzenschutz
Kastration = Katzenschutz: Auf sich allein gestellt, vermehren sich Streunerkatzen unkontrolliert: Aus zweien werden binnen kürzester Zeit Viele. Außerdem geraten sie in Auseinandersetzungen mit anderen Hauskatzen, leiden unter Krankheiten, vermehren sich unkontrolliert und sterben qualvoll. Die Kastration gilt deshalb als wirksamste Maßnahme gegen dieses Katzenelend. Um das Problem der unkontrollierten Vermehrung in den Griff zu bekommen, reicht die alleinige Kastration von Streunertieren jedoch nicht aus. Denn diese Katzen paaren sich nicht nur untereinander, sondern eben auch mit freilaufenden, fortpflanzungsfähigen Besitzerkatzen aus der Umgebung.
TASSO setzt sich für eine bundesweite Kastrations-, Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Hauskatzen ein: 2013 wurde mit Einfügung des § 13b in das Tierschutzgesetz auch eine Möglichkeit geschaffen, auf tierschutzrechtlicher Basis eine entsprechende Verordnung zu erlassen – die sogenannte Katzenschutzverordnung.
Diese Verordnung schreibt vor, dass Katzen, die Freigang haben, gekennzeichnet, registriert und kastriert werden müssen. Dadurch sollen sich freilaufende Hauskatzen nicht mehr unkontrolliert mit Streunerkatzen vermehren und die Population der Streunerkatzen soll dadurch verkleinert bzw. stabilisiert werden. Hier finden Sie weitere Informationen rund um Kastration und Streunerkatzen.
Im Hauptquartier der „Wilden 13“
Wenige Minuten später geht es schon weiter an diesem bedeckten Samstagnachmittag. Nachdem Schmidt die Tiere an der neuen Futterstelle versorgt hat, fährt sie in Richtung des „Hauptquartiers“ des Vereins in Massenheim. Auf dem Weg dorthin zeigt sie in verschiedene Himmelsrichtungen und beschreibt, wo sich weitere Futterstellen des Vereins befinden. Für den Besuch von TASSO hat sie ihre übliche Runde heute mal umgedreht und fängt von hinten an. „Ich komme heute viel früher als üblich, mal sehen, ob die Katzen mich überhaupt schon erwarten“, überlegt die Katzenschützerin. Doch kaum parkt ihr Auto, kommen die ersten Vierbeiner auch schon den Trampelpfad hinaufgelaufen und begleiten Schmidt maunzend zum Gelände, das der Verein nutzt. Hier leben die „Wilden 13“, eine Gruppe von Streunerkatzen, die schon länger vom Verein betreut werden. Auf dem Gelände haben die Tierschützerinnen den Katzen gemeinsam mit der Unterstützung einiger Helfer:innen eine kleine Holzhütte eingerichtet, in der die Tiere versorgt werden können, die aber auch den Menschen die Möglichkeit bietet, sich aufzuhalten und die Tiere genauer zu beobachten. So bekommen sie mit, wie es den Tieren geht. Mehrere Katzen mussten kürzlich behandelt werden, weil sie Krebs hatten. Nach ihrer Behandlung und Genesung wurden sie wieder zurückgebracht und freigelassen. „Sie kennen das Leben nicht anders“, erklärt Martina Schmidt das Vorgehen. Sie ergänzt: „Diese wilden Katzen sind nicht für die Haltung in einer Wohnung geeignet.“ Es ist viel Arbeit in dieses Gelände geflossen, auf dem die Streunerkatzen heute leben. Von einer einfachen Futterstelle, über ein mobiles Zelt bis zur heutigen Lösung, gab es viele verzweifelte Momente, Tränen und Hilfslosigkeit. Einmal zerstörte ein Feuer alles, was die Tierschützerinnen aufgebaut hatten, die Katzen überlebten zum Glück alle unverletzt. Schmidt ist sicher, dass das Feuer kein Zufall war, sondern absichtlich gelegt wurde. Ein anderes Mal zerstörte ein herabstürzender Ast das feste Zelt, das eine lokale Firma den Tierschützerinnen gespendet hatte. Nun mit der festen Holzhütte, zahlreichen aufmerksamen Nachbarn und einer guten Überwachungstechnik, können sie hoffentlich noch lange versorgt werden.
Darum ist die Arbeit von Katzenschutzvereinen so wichtig
Dass die Arbeit des Vereins Früchte trägt, zeigt sich gut an dem Beispiel der „Wilden 13“. Die Tiere, die hier betreut werden, sind teilweise seit Jahren kastriert und werden medizinisch versorgt. Sie müssen nicht leiden und führen das bestmögliche Streunerkatzenleben. Und – das ist das Entscheidende: Es werden nicht mehr Tiere. „Wir versorgen derzeit insgesamt 20 Katzen und ich denke, es werden in den kommenden Jahren nicht mehr Katzen werden.“ Denn dank der Arbeit des Vereins und der Einführung der Katzenschutzverordnung hat die unkontrollierte Vermehrung der Tiere ein Ende. Das heißt, es müssen jetzt nur noch die vorhandenen Katzen versorgt werden? Schmidt lacht: „Ja, genau. Nur noch. Circa zehn Jahre lang täglich füttern, putzen und kümmern.“ Es ist noch eine Menge Arbeit, die die Katzenschützerinnen des Vereins vor sich haben. Aber, dass es nicht mehr schlimmer wird, sondern im Laufe der Zeit besser, motiviert sie sehr. Das Wohl der Tiere ist es, was die Helferinnen antreibt. So sehr, dass einem schon schwindlig werden kann, wenn jemand wie Schmidt von einem ganz normalen Tag erzählt, der aus Kümmern, Füttern, Versorgen der Tiere und Vollzeit arbeiten besteht. „Wir sind keinesfalls gelangweilte verrückte Katzennärrinnen“, stellt sie klar. „Wir haben normale Vollzeitjobs, Partner, Familien und Hobbys.“
Auf die Frage, was ein Verein wie der ihre am meisten braucht, nennt Schmidt drei Punkte:
- Politischen Willen – In Hochheim durch die Anerkennung der Streunerkatzenproblematik und der Einführung der Katzenschutzverordnung geschehen.
- Geld – Gerade die medizinische Versorgung der Tiere kostet den Verein große Summen. Auch das Futter kostet Geld. Zwar unterstützen hier bereits viele Tierfreund:innen den Verein mit regelmäßigen Spenden, dennoch müssen die Vereinsmitglieder auch immer wieder zusätzliches Futter kaufen.
- Personelle Unterstützung – „Wir Aktive sind nicht viele. Wir würden uns sehr über Menschen freuen, die mit anpacken. Das muss auch nicht mehrere Stunden die Woche sein oder so ein Ausmaß annehmen wie bei mir“, beruhigt Schmidt mögliche Bedenken. „Auch wenn jemand sagt, dass er oder sie pro Woche mal eine Stunde helfen kann, ist das für uns schon ganz toll.“