1. Seit vielen Jahren setzen Sie sich im Tierschutz ein, vor allem in Litauen/Baltikum. Wie kam es dazu und warum ausgerechnet dieses Land?
2009 wurde mein Mann als österreichischer Botschafter nach Litauen entsandt. Auf einem vom dortigen Außenministerium organsierten Ausflug für Diplomaten sah ich weniger die landschaftliche Schönheit als das Tierelend: Kettenhunde, herrenlose Katzen und Hunde, Intensivtierhaltung. Als ich nach Tierschutzorganisationen im Land suchte, stieß ich auf wenig ausgebildete Strukturen und durch die große Armut der Menschen bedingte Korruption. Also beschloss ich, schon immer tierlieb, die Ärmel hochzukrempeln und selbst im Namen der Tiere aktiv zu werden.
2. Wie kam eigentlich das BRIDGE-Projekt mit TASSO zustande?
Durch meine gesellschaftlich angesehene Position als Frau des österreichischen Botschafters hatte ich Zugang zum Parlament in Vilnius. Dadurch gelang es mit viel Networking und fachkundiger Hilfe in Vilnius eine erste Tierschutzkonferenz in der baltischen Region zu veranstalten. Es folgten ein neues Tierschutzgesetz und nach unglaublich umfangreicher administrativer Vorarbeit erste Kastrationsprojekte.
Auch wenn das ein großartiger Beginn war, sah ich bald, dass die Massenkastration keine nachhaltige Antwort auf die Überpopulation mit herrenlosen Tieren ist. Daher begann ich die brückenbildenden Bridge-Projekte zu entwickeln und durchzuführen. Hier liegt der Schwerpunkt nicht auf der Menge der kastrierten Tiere – auch wenn wir pro Tag ohne Weiteres mit einem sehr kleinen Team bis zu 25 Tiere kastrieren können – sondern auf dem Verbreiten des Konzepts der „Responsible Ownership“. Wir unterrichten zukünftige TierärzteInnen und AssistentenInnen nicht nur in der OP-Methode, sondern auch im liebevollen und professionellen Umgang mit herrenlosen Tieren oder solchen, die verarmte BesitzerInnen haben. Was im Baltikum gerade in ländlichen Regionen sehr häufig ist. Außerdem impfen wir natürlich, machen und unterrichten auch etliche für die Kleintierklinik übliche Behandlungen und kleine Operationen. Nicht zuletzt reden wir mit NGO-Mitgliedern, freiwilligen HelfernInnen und BesitzernInnen, um einen verantwortungsbewussten und liebevollen Umgang mit Hunden und Katzen zu fördern. Zu einem verantwortungsvollen Umgang gehört neben der Kastration auch das Register, dessen Einrichtung wir an Projektorten, soweit möglich, unterstützen. Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich dem Leiter von TASSO e.V., Philip McCreight, danken. Er hat den Vorteil der CNR Bridge Trainings gegenüber der Massenkastration von Anfang an erkannt und unterstützt. Was noch viel mehr ist: Er ist ein Ansprechpartner, mit dem ich die Projekte immer weiter verfeinern und verbessern kann. Das ist selten in der Tierschutzwelt. Das Team von TASSO unterstützt in allen Fachbereichen tatkräftig den Tierschutzgedanken mit und das hat mir gerade bei der Projektplanung und Ausführung im Corona-Jahr 2020 immens geholfen.
3. Warum sind solche Projekte so wichtig und wie helfen sie Tieren?
Die CNR-Bridge-Projekte machen auf das Tierleid aufmerksam, sodass die Bevölkerung zunehmend von der Politik humane Maßnahmen im Umgang mit der Überpopulation an besitzerlosen Tieren fordert, da sie selbst ihre ablehnende Haltung gegenüber der Kastration aufgibt. Jeder zufriedene freiwillige Mitarbeiter, jeder Hundebesitzer, der sich die Kastration nicht hätte leisten können, jedes Tierheim, das endlich die Möglichkeit bekommt, seine Tiere kastrieren zu lassen, ist ein Multiplikator für das Konzept der „Responsible Ownership“ und eine achtsame, liebevolle und nachhaltige Brücke zwischen Tier und Mensch. Es geht mir mehr und mehr um eine entscheidende Wurzel für einen nachhaltig verantwortungsbewussten Umgang mit Tieren in jeder Gesellschaft, nämlich den Umgang der Menschen miteinander. Denn in meiner Erfahrung ist gerade im Tierschutzbereich sehr viel Konfliktpotential vorhanden und wird auch gelebt, weil TierschützerInnen mit dem Beschützerinstinkt agieren und so oft in Konflikt mit anderen TierschützernInnen, Behörden etc. geraten. Das dient weder den Tieren noch der Gesellschaft als solches. Deshalb lehre ich auch Brücken des Respekts und des achtsamen Umgangs der Menschen in den CNR-Bridge-Trainings miteinander. Zu diesem Zweck habe ich sogar einen Katalog der Basics für neue Team-Mitglieder entworfen, um von Anfang an ein gutes Miteinander im Sinne der Tiere zu fördern. Last but not least: Ein kastriertes Tier ist wesentlich leichter zu vermitteln. So fördern wir mit den CNR-Bridge-Trainings auch Adoptionsprogramme jener Tierschutzorganisationen, die sich vor Ort als unsere Projektpartner qualifiziert haben.
4. Und warum ist das BRIDGE-Projekt im Baltikum so wichtig?
Gerade im Baltikum, dessen drei Länder Litauen, Lettland und Estland der EU erst 2004 beigetreten sind, ist die Armut groß, was die Korruption anheizt. Während es mir gelungen ist, gerade in der Hauptstadt Vilnius die ehemalige Tötungsstation „Grinda“ in meine nachhaltigen Projektstrukturen einzubauen, sodass sie heute mehr und mehr ihrer Bezeichnung „Tierheim“ gerecht wird, ist die Armut über Land massiv. Viele junge Menschen, die eine ausreichende Ausbildung haben, verlassen die ländlichen Regionen, oft auch Litauen/das Baltikum überhaupt. Zurück bleiben oft schlecht ausgebildete Menschen, die in der Hoffnungslosigkeit verfallen. Diese Dynamik verschärft sich und deswegen habe ich mit dem Leiter von TASSO e.V., Philip McCreight, beschlossen, dass gerade in Corona-Zeiten der Schwerpunkt meines Modells der CNR-Bridge-Trainingsprojekte auf die CNR-Bridge-Countrysideprojekte in Litauen verlegt werden muss. So erreichen wir die Ärmsten der Armen, lindern die Not, wo sie am größten ist und bringen Hoffnung. Denn das Engagement einer ausländischen Organisation beflügelt den Tierschutz immer wesentlich stärker als das nationale Engagement. Gerade in Corona-Zeiten haben mir litauische Tierschutzvereine berichtet, dass sie noch weniger an öffentliche Gelder für die Kastration von besitzerlosen Tieren herankommen als sonst.
5. Sollten und könnten die im Baltikum und Montenegro so erfolgreichen CNR-Bridge-Trainings auch in anderen Ländern umgesetzt werden?
Diese nachhaltigen Kastrationsprojekte haben eine klare Grundstruktur, die überall dort umgesetzt werden kann, wo wir mit den Behörden und Tierschutzvereinen vor Ort eine gangbare Infrastruktur für ein voll funktionales CNR-Bridge-Training aufbauen können. Für Außenstehende ist es oft schwer nachvollziehbar, wie viel hartnäckige Vorarbeit mit Ministerien, Behörden, Tierschutzvereinen, TierärztenInnen etc. nötig ist, bis ein CNR-Bridge-Training tatsächlich stattfinden kann. Für und mit TASSO habe ich das Konzept auch in Lettland und Montenegro umgesetzt. Mit ausreichenden Spenden können wir sowohl unsere Arbeit in Litauen fortsetzen als auch in weiteren Ländern Projekte vorzubereiten beginnen.
6. Wie hat sich die Problematik der herrenlosen Tiere Ihrer Erfahrung nach in Litauen verändert, seit Sie BRIDGE-Projekte vor Ort umsetzen?
Die Grundstrukturen wurden in der Zeit gelegt, wo ich selbst in Litauen lebte und mir mein sehr tierlieber Mann großzügig seine exzellenten Zugänge zu allen PolitikernInnen/Behörden zur Verfügung stellte. In Litauen gibt es wesentlich mehr Straßenkatzen als Straßenhunde. Die Hunde sind oft an der Kette und werden solchermaßen durch streunende Tiere eingedeckt. Die regelmäßig stattfindenden CNR-Bridge-Projekte haben die Bevölkerung wesentlich aufgeschlossener gegenüber der Kastration als einzig humanen Umgang mit der Überpopulation an Straßentieren gemacht, aber auch die Kastration von Hunden und Katzen, die einen Besitzer haben, geradezu populär gemacht. Die Projekte verbinden Menschen, die Katzenkolonien betreuen, es gibt mehr und mehr Bezirke, die eine immer kleiner werdende Population an Straßenkatzen haben. Auf dem Land ist allerdings noch sehr viel weitere Aufklärungsarbeit notwendig, denn da ist die Praxis des Vergrabens von Welpen und des Ertränkens von jungen Katzen noch gang und gäbe. Ich habe in meiner Zeit im Tierschutz in Litauen vor allem Männer in politischen Positionen erlebt, die sich mit geradezu wehleidigem Blick gegen die Kastration von Straßentieren äußerten – das sei doch unnatürlich – aber die gerade genannten grausamen Praktiken ohne mit der Wimper zu zucken tolerierten. Umso wichtiger: Jedes CNR-Bridge-Projekt bringt neue Menschen an Bord, die die Idee des humanen Umgangs mit herrenlosen Tieren und der „Responsible Ownership“ von Besitzertieren weitertragen. Ich bin zuversichtlich, immer, auch wenn der Weg gerade auf dem Land noch ein langer ist.
7. Auch in der aktuellen Corona-Krise finden Kastrationsaktionen statt. Warum ist das vor allem in solchen Krisenzeiten so wichtig?
Die litauische Bevölkerung lebt ohnehin oft knapp an der Armutsgrenze, gerade auf dem Land leben die Menschen selbst in wirtschaftlich besseren Zeiten am Existenzlimit. Wir sprechen hier von einem Land, in dem Menschen, die einander nicht kennen, selbst in normalen Zeiten im Winter in einer Wohnung zusammenziehen, weil sie sich die Kosten für die Heizung sonst nicht leisten könnten. Wenn das Geld knapp wird, können sich diese Menschen als erstes die Haltung ihrer Tiere nicht mehr leisten. Das bedeutet auch, dass gerade jetzt noch mehr Tiere ausgesetzt werden als sonst schon üblich. Mehr denn je bedeutet gerade ein Projekt aus dem Ausland, aus einem angesehenen Land wie Deutschland, Hilfe und die Gewissheit, dass die Situation der Menschen in Litauen wahrgenommen wird. Immer wieder höre ich von den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, dass sie überglücklich sind, dass ich selbst sieben Jahre, nachdem ich Litauen am Ende der Amtszeit meines Mannes als Botschafter in Vilnius verlassen habe, noch immer mit TASSO CNR-Bridge-Trainingsprojekte nach Litauen bringe. Ich bin dankbar, dass ich mit TASSO Menschlichkeit und Zuversicht im Sinne von Tier und Mensch nach Litauen bringen kann und darf, gerade jetzt!
8. Was muss sich Ihrer Meinung nach dort noch verändern, damit es Tieren und Tierhaltern besser geht?
Die Situation der Tiere verändert sich zum einen mit Jahre langer Aufklärungsarbeit, vor allem aber dann, wenn es den Menschen wirtschaftlich besser geht. Solange die Situation wirtschaftlich schwierig ist, jetzt durch Corona wieder noch mehr, sind die CNR-Bridge-Trainingsprojekte wichtiger denn je. Der Schritt von Vilnius in die noch ungleich ärmeren ländlichen Regionen, wo die Mentalität auch wesentlich härter gegenüber Tieren ist, war ein wesentlicher, der lange Vorbereitungen erfordert hat. Nur mit nachhaltiger, geduldiger Projektarbeit wird sich die Einstellung der Menschen so verändern, dass Kastration statt Töten überall zum Motto wird und ein liebevoller, verantwortungsvoller Umgang mit allen Tieren zur Norm wird. In gewisser Weise ist es ja so, dass auch in unseren wohlhabenden Ländern das Bewusstsein beispielsweise für das Leid von Nutztieren nur langsam in weitere Schichten der Bevölkerung dringt. So lange es Menschen gibt, die aus dem Tierleid Profit schlagen, indem beispielsweise Geldmittel für den Tierschutz in korrupten Strukturen versanden, solange die Bevölkerung nicht durch ihre Forderungen, ihr Wahlverhalten und auch ihr Konsumverhalten klar macht, dass ALLE Tiere gemäß dem Vertrag von Lissabon fühlende Wesen sind, werden CNR-Bridge-Projekte in Ländern wie Litauen tatkräftig helfen müssen. Während bei uns das Rampenlicht notwendigerweise gerade heute mehr und mehr auf die Nutztiere fällt, braucht es noch Zeit, bis die Menschen in weniger wohlhabenden Ländern verstehen und umsetzen, was für uns schon selbstverständlich ist im Umgang mit Hund und Katze.
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