Verhaltenstherapie in der Tiermedizin

Psychische Erkrankungen bei Tieren

Hund und Katze liegen im Körbchen. © TASSO e.V.
Auch Hunde und Katze können an psychischen Erkrankungen leiden.

Psychische Erkrankungen bringen einen enormen Leidensdruck mit sich. Das ist für Menschen längst bekannt, auch wenn die Folgen sogar hier noch häufig unterschätzt und kleingeredet werden. Bei Tieren sind psychische Krankheiten hingegen noch nicht so gut erforscht wie bei uns Menschen. Dabei ist es unumstritten, dass auch unsere Tiere psychisch erkranken können. Auch in der Tiermedizin gibt es daher das Fachgebiet der Verhaltensmedizin, das sich dem Verhalten und der Gesunderhaltung der Psyche von Tieren widmet. Der folgende Text klärt über die Hintergründe der tiermedizinischen Verhaltenstherapie auf und deckt einige Mythen rundum das Thema auf.

Was ist der Unterschied zwischen Training und Verhaltenstherapie?

Training
Wenn Tiere Verhalten zeigen, das uns Menschen im Zusammenleben mit dem Tier stört, kann durch ein gezieltes Training an dem unerwünschten Verhalten gearbeitet werden. Prinzipiell können alle Tiere trainiert werden, am meisten verbreitet ist jedoch das Hundetraining. Wenn Hunde Menschen anspringen, an der Leine ziehen oder den Besuch anbellen, führt der Weg meist in die Hundeschule. Dort lernt der Hund ein Alternativverhalten, das er statt des unerwünschten Verhaltens zeigt. Zum Beispiel kann ein Hund durch Hundetraining lernen, sich in einer Begrüßungssituation hinzusetzen, statt an einem Menschen hochzuspringen. Er kann auch lernen, beim Klingeln an der Türe ruhig auf eine Decke zu gehen, statt den Besuch zu verbellen. Wichtig ist zu bedenken, dass unerwünschte Verhaltensweisen, die uns Menschen im Alltag stören, zum Normalverhalten der Tiere gehören. Befreundete Hunde lecken sich zum Beispiel in einer freudigen Begrüßung gegenseitig die Maulwinkel, deswegen ist es aus ihrer Perspektive logisch und normal, zur Begrüßung möglichst nah an das Gesicht des Menschen zu kommen und dafür im Zweifel auch zu springen. Genauso ist es entsprechend ihrer Genetik für viele Hunde absolut normal, Fremde zu verbellen. Durch gut strukturiertes Training können wir Menschen den Tieren in kleinen Schritten die Regeln unseres menschlichen Zusammenlebens beibringen und ihnen zeigen, welche Verhaltensweisen wir uns von ihnen in welchen Situationen wünschen. Wichtig ist dabei, dass auf strafbasierte Trainingsmethoden verzichtet wird und Hunde neues Verhalten wohlwollend und positiv vermittelt bekommen.

Verhaltenstherapie
Bei Tieren, die in der Verhaltenstherapie vorgestellt werden, liegt in der Regel kein unerwünschtes Normalverhalten vor, sondern ein nicht-arttypisches Verhalten, welches das Tier selbst psychisch und auch physisch belastet. Man spricht in diesen Fällen von einer Verhaltensstörung. Das kann beim Hund zum Beispiel ein übersteigertes Angstverhalten sein, das ihn von seinem hündischen Normalverhalten, wie Erkunden, Spielen oder sogar Fressen, abhält. Es kann aber auch ein übermäßiges Aggressionsverhalten sein, das den Hund in Begegnungssituationen mit Menschen oder Artgenossen massiv stresst und über ein normales Drohverhalten, mit dem der Hund seine Bedürfnisse kommuniziert, hinausgeht. Mögliche andere Verhaltensstörungen sind selbstverletzendes Verhalten (z.B.: starkes Kratzen, Beißen der eigenen Pfoten), abnormale Bewegungsmuster (z.B.: Schwanzjagen, im Kreis laufen), starke Trennungsangst, Unsauberkeit bei ausgewachsenen Tieren oder das Jagen von Schatten und Lichtreizen. Verhaltenstherapie in der Tiermedizin ist übrigens nicht nur auf Hunde begrenzt, sondern wird auch für Pferde, Katzen, kleine Heimtiere und Vögel angeboten. Die Grenzen zwischen Verhaltenstherapie und Training können nicht immer trennscharf gezogen werden. Training ist oft ein wichtiger Bestandteil der Verhaltenstherapie und viele Tiermediziner:innen mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie arbeiten sogar mit Trainer:innen zusammen.


Wie entsteht eine Verhaltensstörung?

Die Ursachen von Verhaltensstörungen sind sehr komplex und können nicht auf einen einzelnen Grund reduziert werden. Oft kommen mehrere Faktoren zusammen. Dazu zählen eine mangelhafte Sozialisierung, traumatische Ereignisse in der Vergangenheit, eine ungünstige Lebensumgebung, nicht erfüllte Grundbedürfnisse, körperliche Grunderkrankungen oder Schmerzen, chronischer Stress oder auch Verhaltensstörungen der Elterntiere. Um eine Verhaltensstörung ganzheitlich zu therapieren, ist es wichtig, die Ursachen für ein Verhalten möglichst genau zu verstehen.


Wie läuft eine Verhaltenstherapie ab?

Eine Therapie beginnt immer mit einem ausführliches Erstgespräch, in dem sehr viele Fragen zur Vergangenheit des Tieres und auch zur aktuellen Lebenssituation der Halterinnen oder Halter gestellt werden. Das kann im ersten Moment unangenehm sein oder unnötig wirken, da die Fragen nicht in direktem Zusammenhang mit dem Verhalten stehen müssen. Sie sind aber wichtig, um das Gesamtproblem zu erfassen und dem Tier bestmöglich helfen zu können. Im Anschluss wird ein Therapieplan erstellt, der verschiedene Bausteine enthält. Diese können die Diagnostik und Therapie von körperlichen Erkrankungen, eine Anpassung der Ernährung, eine Medikation mit Psychopharmaka, Managementmaßnahmen im häuslichen Umfeld und das konkrete Training mit dem Tier enthalten. Da eine Verhaltenstherapie eine anerkannte medizinische Behandlung ist, wird sie von einigen Tierkrankenversicherungen übernommen. Es lohnt sich, dies vor Abschluss einer Versicherung zu prüfen und bei bereits vorhandenen Versicherungsverträgen vor Therapiebeginn nach einer Kostenübernahme zu fragen.


Wer bietet eine Verhaltenstherapie für Tiere an?

Eine ganzheitliche Verhaltenstherapie wird von spezialisierten Tierärztinnen und Tierärzten durchgeführt. Im Rahmen einer Zusatzbezeichnung können sich Tiermediziner:innen nach dem Studium weiterbilden und dann eine fundierte tierärztliche Verhaltenstherapie anbieten. Entsprechende Praxen findet man zum Beispiel in einer Liste der Gesellschaft für Tierverhaltensmedizin und -therapie. Neben der Zusatzbezeichnung gibt es für Tierärztinnen und Tierärzte auch die Möglichkeit, sich durch Fortbildungen, Kurse und Hospitationen in den Themengebieten Ethologie, Verhaltensmedizin und Verhaltenstherapie weiterzubilden.

Viele verhaltenstherapeutische Patienten werden von einer Haustierarztpraxis oder einer Hundeschule an eine auf Verhaltenstherapie spezialisierte Praxis überwiesen. Halterinnen und Halter können verhaltensmedizinische Praxen aber auch selbstständig aufsuchen, wenn ihr Tier Verhalten zeigt, welches das Tier und das Zusammenleben mit dem Tier belastet. 


Sind Psychopharmaka für Tiere schädlich?

Leider sind Psychopharmaka immer noch in Verruf und viele Menschen haben Sorge, ihren Hund damit „ruhigzustellen“ oder „abzuschießen“. Früher, als die Forschung zu psychopharmakologischen Medikamenten noch in den Kinderschuhen steckte, wurden tatsächlich in manchen Haustierarztpraxen Medikamente empfohlen, die zum Beispiel den panischen Hund zwar äußerlich ruhig erscheinen ließen, ihm aber nicht seine Ängste nahmen. Die Hunde litten weiter, nur still. Diese Präparate werden aber heutzutage insbesondere von Spezialisten und Spezialistinnen nicht mehr verschrieben. Vielmehr gibt es einige wirksame Medikamente, die den Tieren erst einen Einstieg in ein nachhaltiges Training ermöglichen. Bei vielen Tieren können die Medikamente im Laufe der Therapie wieder abgesetzt werden. Ob und welche Medikamente dem Tier individuell helfen können, muss von Fall zu Fall abgewogen werden. Wichtig ist, dass sie nie eine alleinige Lösung für ein Verhaltensproblem darstellen, sondern immer nur ein Teil des Therapieplans sein können.


Können Tiere depressiv werden?

Die Depression gehört zu den psychischen Erkrankungen, die beim Menschen schon sehr gut erforscht sind. Bei Tieren fehlen dazu noch viele wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Leitsymptome, wie Schlafstörungen, Ruhelosigkeit, Konzentrationsschwierigkeit, verminderte Initiative und reduzierte Lebensfreude finden wir bei unseren Heimtieren aber genauso wie beim Menschen. Oft werden dann körperliche Ursachen für diese Symptome gesucht und die Psyche des Tieres dabei nicht selten vergessen. Die körperliche Gesundheit ist aber sehr eng mit dem psychischen Wohlbefinden verknüpft und nicht selten entwickeln Tiere, die psychisch leiden auch körperliche Symptome. Eine Therapie, die nur auf die Behebung der körperlichen Probleme des Tieres abzielt, ist in solchen Fällen oft nicht zielführend. Die Erfahrung zeigt: Auch ein Tier, das immer wieder oder sogar dauerhaft negative Gefühle empfindet, kann einen Zustand annehmen, den wir Menschen als Depression bezeichnen würden.
 

Fazit

Tiere können genau wie wir Menschen an psychischen Erkrankungen leiden, die das Tierwohl massiv beeinträchtigen. Die tiermedizinische Verhaltenstherapie bietet Möglichkeiten, diesen Tieren zu helfen und sowohl ihr emotionales als auch körperliches Leiden zu reduzieren. Ein Therapieplan umfasst dabei immer mehrere Komponenten, zu denen auch das Training neuer Verhaltensweisen und der Einsatz von Psychopharmaka gehören können.

 

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