Die ersten Tage mit einem Hund aus dem Tierschutz

Mit Routine, Ruhe und Erwartungssicherheit einen guten Start schaffen

Hund mit doppelter Sicherung. © Lisa Borchard © Lisa Borchard

(Expertinnen-Beitrag von Nadine Halberschmidt)

Hunde aus dem Tierschutz, die gerade erst adoptiert wurden, sind in ihrem neuen Zuhause anfangs mit unglaublich vielen neuen Eindrücken konfrontiert. Viele von ihnen reagieren darauf mit Überforderung, Unsicherheit oder Angst. Doch warum ist das so? Insbesondere für Auslandstierschutzhunde ist es zumeist das erste Zuhause ihres Lebens. Sie kennen weder das Wohnen in einem Haus, noch Menschen, die sich um sie kümmern, geschweige denn Spaziergänge und viele andere Dinge.

Schlichtweg alles ist neu. Sich in dieser Situation in die Hunde hineinzufühlen und zu versuchen nachzuvollziehen, wie es ihnen geht, kann uns Menschen helfen sie besser zu verstehen. Dazu können wir uns folgendes vorstellen:

Nach einer 24-Stunden-Reise werden wir in einem Ort eines uns völlig fremden Landes abgesetzt. Jemand schiebt uns in ein Haus, gefüllt mit völlig fremden Menschen, deren Sprache uns gänzlich fremd ist. Wir wissen absolut nicht, wie wir uns verhalten sollen …

So oder so ähnlich geht es wohl vielen Hunden aus dem (Auslands-) Tierschutz. Auch uns Menschen würde solch eine Situation verunsichern und, je nach Vorerfahrung, verängstigen. 

Meiner Erfahrung nach entsteht, kurz nach Einzug des Hundes, oft sehr bald der Wunsch dem neuen Familienmitglied die Welt zu zeigen und der Gedanke den Hund auslasten zu müssen. Doch für die Neuankömmlinge ist anfangs nur eines wichtig: All die ungewohnten, oft Furcht einflößenden Eindrücke zu verarbeiten und dafür braucht es viel Ruhe und Schlaf. Spaziergänge sind hierbei für den Anfang meist noch viel zu viel, denn sie sind mit dem Verarbeiten der Reize des neuen Wohnumfeldes bereits vollends ausgelastet.

Der Garten für erste Erkundungen

Sofern Sie einen Garten haben, nutzen Sie diesen für erste gemeinsame Erkundungen. Jedoch nur, wenn dies nicht bereits überfordert und stets mit ausreichender Sicherung (doppelte Sicherung mit Sicherheitsgeschirr), um einem Entlaufen vorzubeugen. Denn auch ein hoher Gartenzaun bietet keine ausreichende Sicherheit. Hunde sind Meister im Klettern und auch ein Loch ist schnell unter dem Zaun hindurch gebuddelt.

Manche Hunde haben zu Beginn solch große Schwierigkeiten ihre neue Lebenssituation zu bewältigen, dass es nicht möglich ist das Haus mit ihnen zu verlassen. Dies ist für eine gewisse Zeit völlig in Ordnung. 
 

Wichtig bei allem ist

Machen Sie mit Ihrem Hund nur Dinge, die er leisten kann und zwingen Sie ihn nicht durch Situationen hindurch. Ein überforderter Hund kann kein Vertrauen fassen und wir wünschen uns doch alle eines – eine innige und vertrauensvolle Beziehung zu unserem vierbeinigen Familienmitglied.

 

Doch was benötigt ein jüngst eingezogener Hund, um ungewohnte Umstände zu bewältigen?

Vor allem braucht er ein Gefühl von Sicherheit und dabei können Sie ihn unterstützen, indem sie für Erwartungssicherheit sorgen. Also die Vorhersehbarkeit dessen, was als Nächstes passieren wird. Leider können wir frisch adoptierten Hunden nicht verbal erklären, was geschehen wird. Doch wir können durch Rituale und gleichbleibende Abläufe eben diese so wichtige Erwartungssicherheit geben.

Die ersten Spaziergänge

  • Die meisten Hunde aus dem Tierschutz kennen Spaziergänge entweder noch nicht (insbesondere Auslandstierschutzhunde) oder sie haben aufgrund von längerer Zeit im Tierheim keine ausreichend ausgeprägte Muskulatur. Aus diesen Gründen und weil längere Spaziergänge in der Regel anfänglich überfordern, sollten diese erst einmal kurz gestaltet und dann langsam gesteigert werden.
  • Wenn Ihr neuer Schützling nun also zu Hause und im Garten bereits gut zurechtkommt, können Sie beginnen, ihm behutsam und schrittweise neue Gefilde zu zeigen. Zu Beginn reicht es oft vollkommen aus, die gleiche kurze Strecke hin und wieder zurückzulaufen. Nutzen Sie bei jedem Spaziergang unbedingt die doppelte Sicherung, um auch in möglichen Schreckmomenten auf der sicheren Seite zu sein. Wir können nie wissen, wie ein neuer Hund reagiert. 
  • Verwenden Sie auf Spaziergängen und im Garten ruhig zwei längere (3 Meter) Leinen. Viele Hunde empfinden es angenehmer, wenn sie nicht direkt neben ihrem neuen Menschen laufen müssen und viel Gelegenheit zum Schnüffeln und Erkunden haben. 
  • Sollten Sie in einer sehr städtischen Umgebung wohnen, so fahren Sie für Spaziergänge lieber in eine ruhige Umgebung. Dies hat den schönen Nebeneffekt, dass das Autofahren sogleich positiv verknüpft wird. Achten Sie dabei ebenfalls stets auf ausreichende Sicherung, auch beim Aussteigen aus dem Auto.

Der Inselspaziergang für unsichere Hunde

Anfänglich sind die meisten Hunde auf Spaziergängen unsicher oder ängstlich. Sie reagieren schreckhaft auf viele Reize wie vorbeifahrende Autos, Kindergeschrei, die Plastiktüte, die im Wind vorbeifliegt oder den Nachbarhund und vieles mehr.  Doch es gibt eine ganz wunderbare Methode, die sie unterstützt: den Inselspaziergang. Der Inselspaziergang erfüllt das Bedürfnis unserer Hunde nach Erwartungssicherheit. 

Doch was genau ist ein Inselspaziergang und wie können Sie diesen etablieren? Der Inselspaziergang ist eine immer gleich bleibende Spazierrunde mit eingebauten Aktivitäts-Inseln. 

  • Überlegen und erkunden Sie, wo auf Ihrem Spaziergang geeignete Elemente sind, an denen Sie kleine Aktivitäten einbauen können. Hierzu eignen sich umgefallene Baumstämme, ein Baum mit dicker Rinde, Rasenflächen, kleine Mäuerchen und vieles mehr. An diesen Stellen (den Inseln) bauen Sie nun kleine Aktivitäten ein, die von nun an IMMER stattfinden, wenn Sie an diese Stelle gelangen: Zum Beispiel können Sie in der dicken Rinde eines Baumes eine kleine Leckerlie-Suche veranstalten. Wenn Ihr Hund gerne springt, lassen Sie ihn jedes Mal auf den umgefallenen Baum springen. Eine andere Inselstation könnte das Balancieren/ Entlanglaufen auf dem Mäuerchen sein. 
  • Gibt es eine Bank auf Ihrer Runde? Perfekt! Nutzen Sie sie für eine Kuscheleinheit (sofern Ihr Hund das mag) und beobachten Sie gemeinsam die Umgebung. Mit Leckerlis bestückte Rasenflächen laden zum ausgiebigen Schnüffeln ein und bereiten viel Freude. Prinzipiell gilt: Ihrer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – erlaubt ist, was Ihrem Hund Spaß macht.
  • Durch das Einhalten dieser gleichbleibenden Struktur weiß Ihr Hund nach einigen Spaziergängen mit dem gleichen Ablauf genau, was ihn auf den Spaziergängen erwartet (Erwartungssicherheit). Sollte er einmal ängstlich werden, wird die nächste Station mit großer Wahrscheinlichkeit Entspannung bewirken, denn Ihr Schützling hat die Aktivität bereits mit etwas Positivem verknüpft.
  • Zwischen den Inseln sollte Ihr Hund natürlich genügend Gelegenheit haben, um Hundesachen wie Schnüffeln und Markieren, nachzugehen. Lassen Sie sich nicht verunsichern, wenn Ihr Hund anfangs noch nicht alle Tätigkeiten verrichten kann. Aufregung und Unsicherheit über die neue Situation sind ganz normal. Konzentrieren Sie sich auf Aktivitäten, denen Ihr Tierschutzhund bereits folgen kann. Wenn dies am Anfang bedeutet, an den Inseln gemeinsam die Umgebung zu beobachten, dann ist dies schon ganz viel wert. Lassen Sie ihm Zeit dabei und vielleicht schmeckt ihm währenddessen schon ein Hundekeks.

Über die Autoren: Nadine Halberschmidt ist Expertin für Hunde aus dem Tierschutz. Sie bietet umfassende Beratung vor der Adoption und begleitet Adoptierende sowie Pflegestellen während der Eingewöhnungsphase nach der Adoption. Mit ihrem rumänischen Tierschutzhund lebt sie in Brandenburg. https://dein-tierschutzhund.de/

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