Sowohl Schneidezähne (Incisivi) als auch Backenzähne (Prämolare, Molare) wachsen unaufhörlich müssen durch das Kauen an faserreichem Futter wie Heu, Gras oder Gemüse abgenutzt werden. Werden Kaninchen und Meerschweinchen falsch gefüttert, hat das große Auswirkungen auf den Zahnabrieb und führt zu schweren Zahnproblemen bis hin zur Inappetenz.
Zahnerkrankungen bei kleinen Heimtieren wie Meerschweinchen und Kaninchen sind weit verbreitet und können ernsthafte gesundheitliche Probleme verursachen, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Nicht selten verhungern Tiere vor einem vollen Futternapf, weil sie das Futter nicht mehr richtig aufnehmen können. Kaninchen und Meerschweinchen sind Meister darin, ihre Schmerzen zu verbergen. Denn in der Natur sind sie Beutetiere und sichtbare Anzeichen von Schwäche würden sie zu einer leichten Beute machen. Inappetenz, also Appetitlosigkeit, kann ein Warnsignal sein und sollte immer ernst genommen werden. Immer dann, wenn kleine Heimtiere wenig, selektiv oder nicht mehr fressen, muss ein Zahnproblem in Betracht gezogen werden und die Tiere sollten dringend untersucht werden. Genetisch bedingte Zahnfehlstellungen, kombiniert mit einer falschen Fütterung und dadurch falschen Abnutzung der Zähne, sind die häufigsten Ursachen für ein abnormales Fressverhalten oder Inappetenz.
Unzureichende Zahnabnutzung durch Fütterung
Die Hauptursache für Zahnprobleme sind zu wenig Zahnabrieb durch falsche Ernährung (z. B. zu viel Trockenfutter, überwiegend Obst und Gemüse, wenig faserreiches Futter, zu hartes Futter). Meerschweinchen und Kaninchen benötigen Futter, das ihrer natürlichen mahlenden Kaugewohnheit entspricht, da sie sonst weniger kauen und ihre Zähne weiterwachsen. Eine weit verbreitete, aber falsche Annahme ist, dass „hartes“ Futter den Zahnabrieb fördert. Tatsächlich ist nur der Abrieb von Zahn zu Zahn beim Kauen effektiv. Das Gebiss der kleinen Heimtiere ist auf das Zerkleinern von weicher, frischer Nahrung spezialisiert. Wenn sie unpassendes zu hartes oder zu weiches Futter erhalten, das nicht richtig zerkaut werden kann, werden die Zähne falsch belastet. Dies kann zu schiefen Kauflächen und Zahnspitzen führen. Kleine Heimtiere benötigen für einen gesunden Zahnabrieb rund um die Uhr ein hochwertiges Heu und abwechslungsreiches Grünfutter wie z.B. Gras, Löwenzahn, Klee, Zweige mit Blättern, Gemüsegrün, Blattgemüse und Kräutern. Bei zu hartem Futter (Trockenfutter und Pellets, Mais, Gemüse wie Karotten oder Kohlrabi, ungeeignete Nüsse und Kerne) schaffen es die Tiere nicht, das Futter zu zermahlen und es kommt zur Belastung der empfindlichen Zahnfächer bis hin zu Entzündungen und Kieferabszessen. Auch hartes Brot, oft als Zahnpflege missverstanden, ist ungeeignet für kleine Heimtiere und kann nicht nur an den Zähnen, sondern auch durch Aufquellen im Magen, dem Tier auch direkte Schäden zufügen. Bei zu schnell satt machendem Trockenfutter (z. B. Pellets und Körnerfutter aus dem Tierhandel) haben die Tiere nicht die Möglichkeit, ausgiebig zu kauen und eine richtige Zahnabnutzung zu gewährleisten. Die Struktur des Futters und der Rohfasergehalt sind hier von entscheidender Bedeutung. Der physiologische Zahnabrieb wird nur durch die ständig mahlenden Bewegungen der Backenzähne gefördert.
Geeignetes Futter:
- Hochwertiges Heu und abwechslungsreiches frisches Grünfutter sollten 85% der der Ernährung ausmachen
- Grünfuttersorten: z. B. Gras, Löwenzahn, Klee, Bittersalate, blättriger Kohl, Gemüsegrün, Küchenkräuter, Blattgemüse (Salat, Spinat, Mangold) in kleinen Mengen
- Beikost, wie Wurzel- und Knollengemüse sollte höchstens 15 % der Ernährung ausmachen
Weiche Zweige (Weiden, alle Obstsorten von ungespritzten Beständen, Haselnuss u. a.) können in geringen Mengen zusätzlich zur Beschäftigung gegeben werden.
Zahnfehlstellungen und Genetik:
Angeborene Zahnfehlstellungen führen dazu, dass die Zähne nicht korrekt aufeinandertreffen und asymmetrisch oder gar nicht abgenutzt werden. Sowohl die Schneidezähne als auch die Backenzähne können von Fehlstellungen (z.B. Stufengebiss, Vorbiss) betroffen sein. Dies kann dazu führen, dass sich die Zähne ungehindert weiter verlängern und in die Wangen oder den Gaumen des Tieres hineinwachsen, was sehr schmerzhaft ist. Wenn bei der Zucht nicht gezielt auf Tiere mit gesunden Zähnen geachtet wird, treten Zahnfehlstellungen bei bestimmten Rassen vermehrt auf. Verstärkt wird dieses Problem durch unkontrollierte Vermehrung und die Zucht auf extreme Merkmale wie eine stark verkürzte Kopfform, die zu anatomischen Veränderungen und erhöhtem Druck auf die Zahnwachstumszonen führt. Besonders betroffen sind sogenannte Qualzuchten wie Widderkaninchen, Zwergkaninchen mit extrem kleinem Kopf und vor allem Satinkaninchen. Sie leiden deutlich häufiger unter schweren Zahnerkrankungen. Wieso Hauskaninchen häufiger als ihre wildlebenden Artgenossen unter Zahnproblemen leiden, konnte noch nicht vollständig geklärt werden, doch falsche Ernährung ist ohne Zweifel eine der Hauptursachen. Eine Studie zeigt, dass sich das Gebiss von Haus- und Wildkaninchen nicht unterscheidet, jedoch der Schädelbau variiert. Hauskaninchen haben aufgrund von Domestikation und verschiedener Züchtungen einen kürzeren, höheren Kopf und einen stärkeren Kaudruck, während Wildkaninchen einen flacheren Schädel und gleichmäßigeren Kaudruck besitzen. Falsches Futter beeinflusst den Kieferaufbau und führt bei Jungtieren zu größeren Kieferknochen und stärkeren Kaumuskeln, was zu unphysiologischen Kaubewegungen und einer erhöhten Zahnbelastung führt.
Häufige Zahnerkrankungen
Durch genetisch bedingte Zahnfehlstellungen oder ungeeignetes Futter kann ein gesunder Zahnabrieb nicht mehr gewährleistet werden und es entstehen Zahnerkrankungen. Einige der häufigsten Zahnprobleme sind folgende:
- Sollte eine gleichmäßig mahlende Kaubewegung nicht mehr möglich sein, entstehen Stufen und Spitzen an den Backenzähnen, die weitere Kaubewegungen einschränken oder gar unmöglich machen.
- Schief oder nicht physiologisch wachsende Schneidezähne treffen nicht aufeinander und können so nicht richtig abgerieben werden. Das Einwachsen in die Lippe oder in den Gaumen sind die Folge.
- Durch Zahnentzündungen in der Tiefe können eitrige Kieferabszesse entstehen, die bis hinter das nahe liegende Auge reichen können und häufig eine ungünstige Prognose haben.
- Eine Störung des Mineralstoffwechsels durch z.B. Vitamin D-Mangel kann zu veränderter Zahnsubstanz und zu Zahnfrakturen führen.
- Als Makrodontie (Riesenzahn) bezeichnet man eine Zahnerkrankung bei Meerschweinchen, bei der es zu einer starken Verdickung eines Schneidezahns kommt. Die Ursachen sind bisher noch ungeklärt.
- Ein verändertes Kauverhalten kann allerdings auch auf eine Ohrenentzündung hindeuten, dies sollte unbedingt professionell abgeklärt werden.
Symptome
Zahnerkrankungen bei Kaninchen und Meerschweinchen werden oftmals zu spät erkannt, können sich aber durch eine Reihe von Verhaltensänderungen oder physischen Symptomen äußern. Zu den häufigsten Anzeichen gehören:
- Abmagerung und Gewichtsverlust
- Apathie, Rückzug und schlechter Allgemeinzustand
- Verändertes oder langsameres Fressverhalten durch Schmerzen beim Kauen
- Zähneknirschen
- Scheinbares Fressen und Wühlen ohne richtige Aufnahme von Futterbestandteilen
- Nasen- und Augenausfluss durch den eng an den Zähnen verlaufenden Tränen-Nasen-Kanal
- Nasses oder verschmutztes Kinn durch Speichel an den Mundwinkeln und am Hals
- Hervortreten eines Auges
- Knubbel beim Abtasten des unteren oder oberen Kieferknochens
- Schwierigkeiten bei der Maulöffnung oder offenstehendes Maul
- Verdauungsprobleme (Aufgasungen, Verstopfungen, Magendilatation, Durchfall, liegen gelassener Blinddarmkot)
- Vermehrtes Trinken
- Zu lange, abgebrochene oder falsch wachsende Vorderzähne bei Begutachtung
Behandlung
Die Behandlung von Zahnerkrankungen sollte immer in einer erfahrenen Tierarztpraxis und meistens in Sedation/Narkose durchgeführt werden. Eine Untersuchung ohne Narkose verursacht bei allen Tieren enormen Stress, der zum Schocktod und starken Abwehrbewegungen bis hin zu Verletzungen führen kann. Für die professionelle Zahnsanierung bei kleinen Heimtieren sind oft rotierende Werkzeuge notwendig, da sie eine präzise Behandlung ermöglichen und im Vergleich zu Zangen keine Zahnschäden wie Lockerung oder Splittern verursachen. Das Schleifen der Zähne durch rotierende Instrumente sowie die Verwendung von Maulspreizern sollte jedoch nur bei sedierten Tieren verwendet werden. Beim veralteten Zähneknipsen ohne Sedation kommt es oft zu fatalen Folgen wie gesplitterten Zähnen und Haarrissen. Gesplitterte Zähne können zu Entzündungen in der Tiefe und eitrigen Abszessen führen, manche Tiere müssen wegen der schlechten Prognose erlöst werden. In Narkose können alle Zähne und der gesamte Kiefer durch Dental-Röntgenbilder oder CT-Schnitte eingesehen werden. Ohne bildgebende Diagnostik (Röntgen/CT) werden bis zu 80% aller Zahnerkrankungen übersehen, da die meisten Probleme in der Tiefe liegen und von außen nicht sichtbar sind. Lediglich ein Teil der Schneidezähne und der oberste Teil der Backenzähne kann mit dem bloßen Auge und einem Otoskop im Wachzustand eingesehen werden. In manchen Fällen ist es nötig einen ganzen Zahn zu entfernen, in anderen Fällen müssen Spitzen, Kanten oder schief wachsende Zähne alle paar Wochen abgeschliffen werden. Suchen Sie sich am besten eine Tierarztpraxis, die auf die Zahnbehandlung von kleinen Heimtieren spezialisiert ist. Eine professionell durchgeführte Zahnsanierung führt zu weniger häufigen Behandlungen und längeren Intervallen zwischen den Zahnsanierungen. Eine adäquate Schmerzlinderung durch Schmerzmittel, eine Zufütterung post OP und eine Ernährungsumstellung sind selbstverständlich und essentiell für eine gute Prognose und das Tierwohl. Solange keine selbstständige Futteraufnahme möglich ist, muss unbedingt mit einem speziellen Päppelbrei zugefüttert werden, da kleine Heimtiere auf eine ständige Nahrungsaufnahme angewiesen sind. Wegen der geringen Muskulatur des Magen-Darm-Trakts sind die Tiere auf ein ständiges ‚Nachschieben‘ von vorne angewiesen, sodass der Futterbrei durch den Verdauungskanal geschoben werden kann. Kommt kein Futter nach, kann sich die Darmflora verändern und es kann eine übermäßige Gasentwicklung, Kreislaufprobleme und unter Umständen sogar ein Darmverschluss entstehen.
Fazit / Vorbeugung von Zahnerkrankungen
Die beste Prävention gegen Zahnerkrankungen bei Meerschweinchen und Kaninchen ist eine artgerechte Ernährung und Haltung. Sollten Sie sich ein Tier anschaffen wollen, raten wir dazu, Tiere aus dem Tierschutz oder aus Tierheimen zu übernehmen, da sie dort in der Regel tierärztlich untersucht werden und direkt auf eine eventuell bekannte Zahnproblematik aufmerksam gemacht werden kann. Sollten Sie sich doch für ein Tier aus einer Zucht interessieren, achten Sie auf Seriosität des Züchters und vermeiden Sie es, Qualzuchten wie Widderkaninchen, Zwergkaninchen oder Satinkaninchen zu kaufen.
Zusammenfassend einige Tipps zur Vorbeugung von Zahnerkrankungen:
- Faserreiche und vielfältige Ernährung: Eine artgerechte Ernährung für kleine Heimtiere bedeutet, dass Sie rund um die Uhr frisches Wiesenfutter und Blattgemüse, Heu und Kräuter zur Verfügung haben müssen. Die Tiere benötigen eine große Menge an Frischfutter, die Hauptbestandteile sollten Kohl und Bittersalate sein. Hochwertiges Heu sollte immer verfügbar sein, jedoch nicht die Hauptnahrung darstellen.
- Beobachten der Futteraufnahme: Beobachten Sie Ihr Tier regelmäßig bei der Futteraufnahme sowie beim Kauen. Eine wöchentliche Gewichtskontrolle hilft dabei, die Futteraufnahme zu kontrollieren und eventuelle Zahnerkrankungen zu erkennen.
- Regelmäßige Tierarztbesuche: Lassen Sie die Zähne Ihres Tieres regelmäßig kontrollieren. Am besten suchen Sie dafür eine Praxis mit Heimtierspezialisierung auf, die sich mit Zahnheilkunde auskennt.
Zahnerkrankungen sind bei Meerschweinchen und Kaninchen weit verbreitet und bleiben häufig zu lange unentdeckt. Durch eine artgerechte Ernährung und regelmäßige tierärztliche Untersuchungen können viele dieser Erkrankungen vermieden oder frühzeitig behandelt werden. Achten Sie auf die ersten Anzeichen von Zahnproblemen und sorgen Sie dafür, dass Ihre Tiere die richtige Ernährung und Pflege erhalten, um ein langes und gesundes Leben zu führen.